"Sie schmunzelte, als sei ihre Wirkung ein ganz privates Vergnügen, das man wie einen guten Cognac still genießt." Ralf Isau

Samstag, 9. Juli 2011

Von der Spießigkeit

Achtung, Achtung. Das hier ist ein provokanter Text. Bitte nicht lesen, wenn du ein cholerisches, humorloses Wesen bist, das schnell wutbedingte Hitzewallungen bekommt. Wenn du Anzeichen wie: Schläfenpochen, Händezittern oder Rötungen im Gesicht hast, solltest du lieber schnell deinen Arzt anrufen, Sex haben (und laut dabei kreischen) oder deinen Hamster anbrüllen (obwohl der nichts dafür kann!!), anstatt diesen Artikel zuende zu lesen. Danke.

Früher, da war das mit meiner Freundin und mir so: Wir knutschten gleichzeitig mit Zwillingen, färbten uns die Haare grün, rot und blau, gingen auf Demos, nur, um coole Revoluzzer Jungs kennen zu lernen und quatschten die Nächte durch, um am nächsten Morgen gemeinsam die Schule in unserer Lieblingseisdiele zu schwänzen. Wir setzten uns abends ins Auto und fuhren die ganze Nacht durch, immer der Nase lang, um am Morgen zu schauen, wo wir hingekommen waren.

Heute, da ist das dann so: Ich besuche sie ein bis zweimal halbjährlich auf dem Land in ihrem riesigen Haus mit ihren beiden Kindern, um auf plastenen Gartenstühlen Kaffee zu trinken und über die Nachbarn zu lästern. Ihr Mann hat ihr mit kraft seinen beiden Händen ein Haus gebaut, aus dem sie nun wieder ausziehen möchte. Weil. alles. so. langweilig. ist. Getan hat sie´s bisher nicht. Und wird sie auch nicht mehr.


Wenn ich Paare nach ihrem Schlafzimmer frage, antworten die meisten, dass sie jeden Morgen nebeneinander aufwachen möchten, weil das Gesicht des Partners das erste ist, was sie beim Aufschlagen der Äuglein sehen möchten. Ich kann darüber nur schmunzeln. Ich glaube nämlich, dass das eine Lüge ist. In Wirklichkeit wollen wir nur deshalb neben dem anderen einschlafen und aufwachen, um aneinander festzuhalten, sich aneinander festzuklammern. Und auf das Land zu ziehen, ist in etwa dasselbe. Auf so ´ner popeligen, von Kühen vollgekackten Weide sind in der Regel keine großtittigen Weiber unterwegs und auch keine Männer, die mit nacktem Oberkörper Colakisten umher wuchten.


Natürlich gibt es auch noch andere Gründe. 


Und wenn man erstmal auf´s Land gezogen ist, wird sie fett und er erleidet mit vierzig einen Herzanfall. Menschen werden nämlich immer fett, wenn sie sich in einen Stuhl setzen, um aus diesem niemals wieder aufzustehen, wenn sie sich nun für den Rest ihres Lebens ausruhen wollen. Weil sie sich angekommen fühlen. Und weil der andere für das puderzuckerwohlige Angekommenseingefühl aufkommen muss, arbeitet er. Sein Leben lang. Schwer. In einem scheiß Büro, in dem er eine Personalnummer auf dem Bildschirm seines Vorgesetzten ist, und in dem er sich voll reinhängt, weil er loyal ist und so, um dann mit einem Arschtritt nach draußen befördert zu werden, damit er beim Älterwerden darauf hoffen kann, es noch rechtzeitig auf´s Klo zu schaffen. Geiler Scheiß.


Ich weiß noch, dass meine Freundin damals um die Welt reisen wollte. Mit einem Rucksack auf den Schultern und dem Daumen auf die Straße gestreckt, während Wind ihr das Haar zerzaust und sie das Meer auf den Lippen schmecken kann. Heute ist sie den ganzen Tag damit beschäftigt, dieses riesige, très chice Ungetüm namens "Haus" zu putzen, aufzuräumen, zu wischen und den ganzen Dreck im Klo runterzuspülen, um nachmittags den Nachbarinnen Kuchen und Kaffee zu servieren und ab und zu mal vom großen Ausbruch aus diesem geschrumpften Universum zu träumen, in dem sie auf den Tisch haut und mit vorgeschobener Unterlippe sagt, sie würde jetzt ausziehen. Sofort. Dann steht sie auf und schmiert ihrem Mann die Brote für den nächsten Morgen.


Und das ist dann Liebe?


Achso.






 [Nichts gegen das Land und in ein Häuschen zu ziehen, nichts gegen ein bisschen Spießigkeit und nichts gegen die Wärme des Partners im Bett zu finden, aber bevor ich mir ein Haus baue, möchte ich sicherstellen, dass ich nicht meine ganze Lebensenergie diesem Haus, einem Ding, widme, sondern dass ich genug Zeit habe. Für Momente.]

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